Ab ins Hochgebirge

Oder „Mein erster Dreitausender“

Fast sieben Monate vergingen in diesem Jahr von der Planung, dem regelmäßigen und teilweise mühevollem Training bis zu unserem Ziel das erste mal aus eigener Kraft einen 3.000der zu besteigen. Über Fels, Schnee und Eis erreichten wir unser Ziel, das Sustenhorn am 12. August in den letzten Morgenstunden. Da das Sektions-Projekt „Mein erster 3000er“ in diesem Jahr nicht wie geplant durchgeführt werden konnte, fand sich aus den Interessent*innen diese private Gruppe zusammen, um sich gemeinsam mit Wolfgang auf die Gipfelbesteigung vorzubereiten.

Tag 1: Vom Morgenmuffel zur Bergziege

Es war noch stockdunkel, als die tapfere Seilschaft sich am 11. August um 4:30 Uhr in Weinheim versammelte. Anja, frisch im Alpin-Fieber, Frederik, unser 29-jähriger Draufgänger, und Ute, die mit ihren 67 Jahren mehr Energie ausstrahlte als so mancher Jungspund, starteten in den Tag. Schade und traurig war, dass sowohl Diana, die sich in der ganzen Zeit zuvor mit Wolfgang in die Vorbereitung eingebracht hatte, als auch Anke aus dem Team, aus gesundheitlichen Gründen kurz vorher Ihre Teilnahme absagen mussten. Auch Hilde konnte nicht dabei sein, der Urlaub mit der Familie war schon länger geplant. Bei all dem Training und den Vorbereitungen der vorhergehenden sieben Monaten hätten die drei die Tour und das Gipfelerlebnis mehr als verdient.

Unser Organisator Wolfgang Engelter, der seine zweite Heimat im Alpenraum hat, führte die Vierergruppe mit einem schelmischen Grinsen – ob es die Uhrzeit oder die bevorstehende Tour war, blieb sein Geheimnis.

Nach einer staufreien Fahrt erreichten wir um 10:00 Uhr das Hotel Steingletscher, wo wir uns eine kurze Verschnaufpause gönnten, bevor es ans Eingemachte ging. Um 11:00 Uhr hieß es: Hochtourengepäck auf den Rücken und mit bis zu 16 kg Ausrüstung losmarschieren! 700 Höhenmeter standen uns bevor, aber die Motivation war ungebrochen – oder lag das an der Aussicht auf ein kühles Panaché auf der Tierberglihütte?

Um 14:00 Uhr war es dann soweit: Die Hütte auf 2795 Metern tauchte am Horizont auf, als wäre sie uns extra aus den Wolken vor die Füße gefallen. Nach einer erfrischenden Runde Panaché und dem Einchecken im gemütlichen Matratzenlager (mit 16 Betten – fast wie eine Klassenfahrt), gönnte sich unser Wolfgang ein Einzelzimmer. Man muss ja Prioritäten setzen!

Frisch gestärkt ging es dann an die erste Trainingseinheit Mannschaftszug auf das Gletschereis bevor der Magen um 18:00 Uhr zum Abendessen rief. Die Verpflegung? Vorzüglich! Ein Highlight war der frische grüne Salat, den die Mutter des Hüttenwirts Toni höchstpersönlich im Rucksack hochgetragen hatte – inklusive Umweg über den Tierberg. Da schmeckte das Grün gleich doppelt so gut!

Unter einem sternenklaren Nachthimmel kuschelten sich alle in ihre Schlafsäcke. Am nächsten Morgen würde das Abenteuer so richtig beginnen.

Tag 2: Das Sustenhorn und die Sache mit der Spalte

Frühstück in der Hütte? Zwischen 4:00 und 7:00 Uhr – für uns bedeutete das ein Treffen um 6:00 Uhr. Ein gemütlicher Start zum Sustenhorn, dachten wir, aber unser Wolfgang hatte andere Pläne.

Schon beim ersten Abstieg von der Hütte über das Schneefeld zeigten sich die Herausforderungen des Tages: Steigeisen wurden festgezurrt und los ging’s. Die Überquerung der Süstlispalten verlief Anfangs ohne Probleme, bis Wolfgang – ganz der pädagogische Meister – prompt mit einem Bein in eine Gletscherspalte rutschte. Ob er wirklich einbrach oder uns einfach zeigen wollte, wie man das elegant löst, bleibt sein Geheimnis. Es war jedenfalls ein Highlight des Tages, über das noch lange gelacht wurde.

Nach 3 Stunden und 50 Minuten standen wir auf dem Gipfel des Sustenhorns, die letzten Meter über Felsen kletternd – natürlich ohne Gepäck, aber mit dem Gipfelenzian, denn wer schleppt schon freiwillig? Ein kurzes Gedenken galt unserem früheren Mitglied in der Gruppe Arndt, der leider viel zu früh aus dem Leben geschieden ist. Ein Stein aus unserem Kletterzentrum haben wir für Ihn auf dem Gipfel abgelegt.

Der Rückweg erzwang noch einen kleinen Umweg oberhalb des Spaltenfeldes. Wieder an der Hütte angekommen, hieß es: Panach in der Sonne und ein verspäteter Nachmittagsschlaf, bevor das nächste 4-Gang-Menü serviert wurde. Die Stimmung? Ausgezeichnet! Ein Gewitter am Abend brachte jedoch etwas Nervosität in die Truppe. Was, wenn der nächste Tag ins Wasser fiele?

Tag 3: Ein Tierbäääärg zum Abschied

Doch der Wettergott meinte es gut mit uns! Am 13. August strahlte der Himmel in leuchtendem Blau bei angenehmen, aber viel zu warmen, 8 Grad. Der geplante Abstieg wurde kurzerhand um einen Gipfel erweitert: den Tierberg (3050 m). Mit leichtem Gepäck – die Pickel blieben in der Hütte – machten wir uns auf den Weg und standen nach knapp zwei Stunden am Gipfel. Die Aussicht? Unbezahlbar! Die Laune? Unschlagbar!

Zurück an der Hütte gönnten wir uns eine kurze Rast, nahmen unser Gepäck auf, bevor der steile Abstieg zum Parkplatz anstand. Die Beine brannten, aber der Stolz überwog. Nach über 5 Stunden Wanderzeit erreichten wir schließlich den Parkplatz, wo sich die Seilschaft trennte: Anja ging in den Familienurlaub ins Vinschgau, während Wolfgang, Frederik und Ute den Weg zurück nach Weinheim antraten.

Eine Tour voller Höhen und Tiefen, Schweiß und Lachen – und das alles unter der Regie von Wolfgang, dem Mann, der sogar aus einem Spaltensturz ein Lehrstück macht.

Text: Ute Borlinghaus

Bilder: Ute, Wolfgang, Anja und Frederick

Noch eine Anmerkung von Wolfgang.

Zunächst einmal war der erste positive Eindruck, dass der Tierberggletscher in diesem Jahr kaum an Größe verloren hatte. Grund dafür war der starke Schneefall bis in den Juli hinein.

Darüber hinaus sollten wir uns von diesem Eindruck nicht täuschen lassen. Die Klimaveränderung schlägt besonders in den höheren Lagen der Alpen und dessen Gletscher und Eiswelt zu.

Auf dreitausend Meter Höhe sind Temperaturen am Morgen um 06.00 Uhr von 8 Grad und am Nachmittag von bis zu 16 Grad im Schatten einfach zu warm.

An- und Abstiege über Gletscher nach 12.00 Uhr / 13.00 Uhr ähneln mehr dem Besuch eines Schwimmbades als einer Hochgebirgswanderung.

Auf dem Rückweg vom Sustenhorn wurden wir schon am frühen Nachmittag Zeuge von extremen Felsstürzen. Mehr als 50 Brocken mit teilweise über einem Meter Durchmesser begleiteten uns beim Abstieg und auch am Folgetag schon am Morgen beim Aufstieg auf den Tierberg. Auch deshalb waren wir froh nicht die Route der Alpenvereinskarte gewählt zu haben, sondern den Umweg rechts über die Süstlispalten. Der Rückgang des Permafrosts  läßt die Berge auseinander brechen. Permafrost bedeutet, dass über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren die Temperatur im Fels nicht über 0 Grad Celsius liegt, sondern immer unter dem Gefrierpunkt. Mittlerweile liegt aber die Null Grad Grenze in unseren Sommermonaten schon deutlich über 5.000 Meter.

Lasst uns also weiterhin in unserem Alpenverein dafür werben, dass wir den Schutz des Alpenraums, besonders des Hochgebirges und des Klimas zu einer wichtigen Aufgabe unserer Generation machen.